Was machst du hier? Geh heraus!

Das ist zu kei­nem Men­schen gesagt, der sich ver­steckt hat. Das steht auf der Grab­stele von Erika Krum­wiede. Und die hat sich nie ver­steckt. Im Gegen­teil. In ihren Aktio­nen, Instal­la­tio­nen, Semi­na­ren, Gesprächs­grup­pen, Erzäh­l­ex­pe­ri­men­ten und nicht zuletzt in ihren lite­ra­ri­schen Tex­ten wird offen­sicht­lich: Erika Krum­wiede zeigt sich, sie bezieht Posi­tion, spricht aus der Pri­vat­heit ins Öffent­li­che. Und sie ver­stört die Wahr­neh­mung. Die ein­fachste Frage – und davon konnte sie viele stel­len – führt in die Tiefe, auf den Grund. Und soweit woll­ten viele nicht gehen. Aus einer „Unschuld“ her­aus fragt sie. Viele der Gefrag­ten waren ver­blüfft und getrof­fen. Wenn man den Gedan­ken wei­ter­dachte. Wenn man nicht an der schein­ba­ren Nai­vi­tät der Fra­gen scheiterte.

Das Prin­zip von Erika Krum­wiede lässt sich zuge­spitzt for­mu­lie­ren: Vom Klei­nen auf das Größte schlie­ßen. Was für die meis­ten Men­schen selbst­ver­ständ­lich ist, das betrach­tet und befragt sie aus einer ande­ren Per­spek­tive. Aus­sa­gen zu den „letz­ten Din­gen“, dar­auf zielt sie ab. Um dar­aus wie­der in die­sem gran­dio­sen Salto auf den All­tag zurück­zu­kom­men. Und unver­mit­telt zu fra­gen: Und was tust du?

Wie gründ­lich Erika Krum­wiede im All­täg­li­chen nach dem Grund suchte, das wird in ihren zahl­rei­chen „Samm­lun­gen“ deut­lich. Und natür­lich in ihrer Biblio­thek, ihren Schall­plat­ten und CDs. Dazu die meter­di­cken Auf­zeich­nun­gen und Kom­men­tare. Und die Akten mit Gesprächsnotizen.

Auch in ihren Sam­mel­räu­men: Da gab es einen Arbeits­kel­ler vol­ler Mate­ria­lien zur Gestal­tung. Und ihren gro­ßen Werk­tisch. Hier wur­den Instal­la­tio­nen, Aus­stel­lun­gen, Aktio­nen und das letzte (runde) Buch vor­be­rei­tet. In einem wei­te­ren Kel­ler­raum bewahrte sie alte Unter­la­gen auf, die auch in die Fami­li­en­ge­schichte reich­ten. In einem Abstell­raum sta­pel­ten sich Mate­ria­lien bis unter die Decke. Alles aus dem All­tag diente ihr als Gestaltungsmittel.

Und der dritte Raum: die Wasch­kü­che. Viele hun­dert Begeg­nun­gen mit unter­schied­li­chen Men­schen oder Grup­pen ereig­ne­ten sich hier. Ein ein­fa­cher Gas­ofen wärmte den Raum im Win­ter. Tee ser­vierte sie in dem „Klas­si­ker“ von Melitta. In pink und in erika­rot.

Erika Krum­wiede war eine beson­dere Per­sön­lich­keit. In ihrem Den­ken, ihren Aktio­nen und ihren Pro­duk­tio­nen war sie – wie man so sagt – ihrer Zeit vor­aus. Damit ist nicht unbe­dingt „fort­schritt­lich“ gemeint, son­dern viel­mehr ihre Kon­ven­tio­nen spren­gende krea­tive Sicht­weise. Etli­chen Zeit­ge­nos­sen erschien sie daher „kurios“.

Eine Erklä­rung des Wor­tes aus dem Lexi­kon trifft die Per­spek­tive des nach ihrem Tode ent­stan­de­nen Internet-Archivs:

Das Wesen eines Kuriosums besteht übli­cher­weise in der Ver­blüf­fung des Rezi­pi­en­ten, die durch unge­wohnte oder über­ra­schende Abwei­chun­gen von übli­chen Ver­hal­tens­mus­tern oder Denk­wei­sen ent­steht. Ein Kurio­sum löst Neu­gier aus oder befrie­digt sie.

 

Sie bleibt über alle Pro­jekte, Gesprä­che, Aktio­nen und Texte hin­aus in Erinnerung.

Und sie fragt: Was machst du hier? Geh her­aus!

 

 Uralt war ich schon immer

von Anbe­ginn der Welt. Und

jetzt kommt etwas Neues bis in

alle Ewig­keit. Ich weiß nicht, was.

 

Erika Krum­wiede


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