Der Eintritt in das Landesjugendpfarramt in Hannover ist sicher die entscheidende Weichenstellung. In dieser Zeit scheint sich ein Umbruch zu vollziehen, der vor allem die spätere Entwicklung und die so ganz anderen Äußerungsformen und Tätigkeiten von Erika Krumwiede wenigstens im Ansatz verstehbar macht. Das betrifft vor allem ihre pädagogische Haltung: immer weniger setzt sie auf didaktische und geplante Prozesse, sondern hält den Prozess selbst und das Experiment für den entscheidenden Ansatz in der Kommunikation und in Lernabläufen. Aber auch ihre religiöse Haltung und die verschiedenen Zeichen der Frömmigkeit – vor allem in der Sprache – verändern sich so auffällig, dass man gern einen Anlass oder einen Zeitpunkt finden möchte, auf den diese Veränderung zurückzuführen wäre.
Von 1961 bis 1963 hat sie hier eine Anstellung als „Sachbearbeiterin für Laienspiel“. In dieser Zeit beginnt sie ein Netzwerk von Beziehungen und Projekten aufzubauen, das über mehr als zwanzig Jahre wächst und sich später zu ihrer selbständigen Tätigkeit entwickelt. Denn diese Aufgabe wird 1963 in einem Anstellungsvertrag umfangreicher ausgerichtet: Von April 1963 bis Juni 1979 arbeitet sie als „Sachbearbeiterin für musische Aufgaben“ im Landesjugendpfarramt im Amt für Gemeindedienst in Hannover. (Später wird ihre Tätigkeit in die Medienzentrale eingebunden.) Sie wird in der Hannoverschen Landeskirche durch Projekte und Fortbildungsveranstaltungen bekannt als „Expertin für Kreativität“. Ein so weit gefasstes Aufgabenfeld gibt ihr eine Bandbreite an Möglichkeiten für pädagogische und künstlerische Prozesse und Experimente.
Ständig erweitert sie ihr „musisches Arbeitsfeld“ und nimmt zum Beispiel von 1967 bis 1969 Unterricht in Graphik bei dem Dozenten der Werbefachschule H. Wanders in Isernhagen.
Offensichtlich als Anlage zu einem Tätigkeitsbericht (vermutlich 1968) listet sie die Felder ihrer Arbeit und ihre Kooperationspartner auf:
Arbeitsgebiete von Erika Krumwiede, Musische Arbeit
Mitarbeit bei Großveranstaltungen:
- Darstellende Spiele für die Landesjugendtreffen
- Darstellendes Spiel und Tonbildreihen für den Kirchentag
- Experimente bei den internationalen festlichen Tagen Deutscher Jugend
- (ein Stück wurde im Fernsehen gezeigt)
- Missionstage
Mitarbeit für Veranstaltungen auf Bundesebene:
- Studientage für Spielleiter im Norddeutschen Raum
- Beratungsstellenleiterkonferenz auf Bundesebene
- Duty – to – Good – Konferenz, internationales Treffen der CP
- Tagung des deutsch-evangelischen Frauenbundes in Würzburg
- Rüstzeiten für seelisch Kranke
Mitarbeit bei Treffen und Lehrgängen in anderen Landeskirchen:
- Bremen
- Hessen
- Westfalen
- Hamburg
- Rheinland
- Schaumburg-Lippe
Unterricht und musische Lehrgänge an den kirchlichen Ausbildungsstätten:
- Predigerseminar Erichsburg
- Lutherstift Falkenburg
- Pfarrvikarseminar Hermannsburg
- Dorfhelferinnenseminar Fischerhude
- Pfarramtsekretärinnen Hannover
- Oberseminar Hannover
- Wichernschule Hannover
- Kirchliches Seminar, Wedekind-Str.
- Pflegevorschulen
Mitarbeit bei folgenden Zeitschriften:
- „Werkhilfe“
- „Junge Gemeinde“
- „Junges Spiel“
- „Die Botschaft“
- „Grüner Zweig“
Durchführung verschiedener Lehrgänge:
- Dozententagungen für die Ausbildungsstätten
- Studienkurse für neue Gottesdienstformen
- Lehrgänge „Neue Wege in der Gemeindearbeit“
- Bild für Gottesdienst, Diskussion u.ä. in der Gemeinde
- Tonband: Orff für Gottesdienst, Diskussion u.ä. in der Gemeinde
Verschiedenes:
- Mitarbeit bei:
- Religionspädagogischen Tagungen für
- Lehrer und Pastoren
- Pastorenkollegs
- Jugendgruppenleiterschule Bündheim
- Mädchenbildungsseminaren
- Mütterarbeit
Mitglied des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft Spiel der ev. Jugend Deutschlands
Zwischentöne: Gestaltung
Bis ins letzte Lebensjahr hinein ist für Erika Krumwiede die Gestaltung von Wohnungen und des Wohnens von besonderer Bedeutung. Allein die Fotos und die Filmdokumente von ihrer Wohnung und den verschiedenen Arbeits- und Kommunikations-Räumen zeigen vom Detail bis zur Anordnung, wie genau sie überlegte und wie ordentlich sie einrichtete und bewahrte. Wenn den Außenstehenden auch der Sinn mancher Material- oder Textsammlung verborgen blieb, so zeigt sich doch von den Kalendern angefangen über die genaue Buchführung von Ausgaben, das raumhohe Stapeln aller leeren Marmeladengläser bis hin zu der nicht zu durchschauenden Ordnung der Gesprächsnotizen eine Gestaltungs- und Bewahrungsmentalität. Gegen den Verlust, für den Gebrauch oder für die Metaphorik.
Daneben zieht sich durch alle Projekte und Gesprächsgruppen: die Gestaltung menschlicher Beziehungen. Eine Lebensaufgabe! Mehr als dreißig Jahre lang entfaltet sie diese unter dem Begriff „Kommunikation“ in verschiedenen Arbeitsfeldern. Und wer ihre literarischen Texte und die Gesprächsprotokolle unter diesem Blickwinkel liest, wird das Motiv auffällig oft finden. Obwohl sie selbst in ihrer radikalen Fragehaltung manchmal bei einzelnen oder Gruppen eher verstörende Signale sendet, bleibt sie der Aufgabe der Kommunikation nicht nur in Seminaren, sondern selbst in ihren Installationen und literarischen Texten verbunden.
Tränen
Gestern war ich traurig
die Leute waren so groß
sie sahen nichts
eins, noch unfähig zu reden
noch unfähig zu gehen
sah mich an
seine winzigen Finger tasteten
vorsichtig in meinem Gesicht
sie hinterließen Spuren
die ich lange spürte
ohne sie zu entfernen
Erika Krumwiede
(Aus: Glaskopf, 1989)