Sterben ist ein Geheimnis.
Wir denken, wir müssen
die Hand halten. Er aber will allein
sein, das Geheimnis nicht teilen
Erika Krumwiede
(Aus: Der Alte, die Alte, das Alte und die Gestandenen, 1992)
Dieser Text ist im o.g. Band veröffentlicht. In einer frühen Fassung dieses Textes wird die radikale Art ihres Denkens noch deutlicher: „Sterben ist so unbekannt. Warum haben wir nie darüber geredet. Die Angst macht uns feige. Und jetzt denkt ihr, Hände Halten und was dazu gehört, macht es leichter.“
Zwei Freunde bezieht Erika Krumwiede in ihre engeren Überlegungen ein, das in ihrem Leben Entstandene und Bewirkte für die Zukunft und damit über Ihren Tod hinaus nachvollziehbar und nutzbar zu machen. Bereits im August 1995 weist ein Protokoll der Waschküchengruppe „Denkschule“ auf Überlegungen zu einem „Museum für kreative Sachen“ hin. Im Mai 2001 wird in einem Waschküchengespräch das „Archiv“ thematisiert („Was kann, will, soll ein Archiv leisten?“).
Die Idee, ein „Archiv Kuriosum“ zu konzipieren und zu gründen, führt im Sommer 2001 zu einer Vereinbarung, die von den beiden Freunden und von ihr unterzeichnet wird.
Im September notiert sie in ihrer Art auf einer Liste verschiedene Bereiche des Archivs und plant zu dem Zeitpunkt offensichtlich, ihre Wohnung komplett als Ort des Archivs vorzusehen. In immer neuen handschriftlichen Notizen versucht sie, für sich eine Struktur zu entwickeln, wie sie das Archiv mit Arbeits-, Themen- und Materialschwerpunkten anlegen möchte. Diese Begriffs- und Themenlisten wiederholen sich, zeigen aber keine Linie, keinen Plan und führen zu keinem konkreten Ergebnis.
Zu dem Zeitpunkt weiß noch keiner, dass Erika Krumwiede ihren eigenen Part (Projekte und Ideen) nicht wird ausführen können. Sie erkrankt schwer im Herbst 2001 und stirbt am 9. März 2002 im Alter von 82 Jahren. Neben einigen Stichworten schreibt sie in den letzten Tagen schwach mit Bleistift in Sütterlin folgenden Fragment-Text:
Der Krebs frißt ????
Der Körper
Der Geruch des Körpers
Jeder Körper hat einen anderen Geruch
gehen wir durch die Stadt
riechen alle nach Parfüm
eine Wolke von Geruch ohne Namen
und der Krebs frisst
Geruch und Erlebnisse siehe Steinhude
Duft/Gerüche schicken Signale
Schalen mit Gerüchen hinstellen
Angst-Geruch
Geruchsfahnen
Der Geruch steigt in die Welt
Kommt er als Duft wieder?
Der Geruch eines Menschen
setzt meine Füße in Bewegung
und ich verschwinde in einem
neuen Geruch. Vielleicht auch in
einem Duft, der mich verliebt
macht. Küssen mich die Düfte
Duft hat kein Gewand
Zunge wohnt in einer Höhle
Die Zeit des Krebses
Der Krebs frisst, wo er will
Erika Krumwiede (2002)
Die beiden Freunde versuchen im Sinne von Erika Krumwiede die Archividee, die die Künstlerin nicht mehr konzipieren konnte, zu verwirklichen. Sie übernehmen einen großen Teil des Nachlasses aus der Wohnung und aus etlichen Kellerräumen, um das umfangreiche Material zu sichten, zu ordnen und zu bewerten.
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