Wie viele Tagebücher finden sich in Nachlässen? Und was wird darin festgehalten? Manchmal erfährt man beim Lesen in Tagebüchern, dass es wieder geregnet hat. Oder die Anzahl der eingenommenen Kopfschmerztabletten. Und die sich wiederholende Eintragung von Spaziergängen oder Begegnungen im Alltag. Meist mehr Unbehagen als Freude im Alltag. Jedenfalls überwiegend Fakten und die Gefühle dazu. Ein anderes Bild vermitteln die Texte von Erika Krumwiede.
Schreiben ist für Erika Krumwiede ein tägliches „Zubehör“. Bereits als Kind und Jugendliche schreibt sie tagebuchartige Texte in ein in rotes Leinen gebundenes und schön verziertes Buch mit einer Metallschließe, wie ein Poesiealbum aus der Zeit. Als elfjähriges Mädchen berichtet sie vom 7.7. bis zum 27.7. 1930 über ihre Erlebnisse vermutlich aus Ferientagen in Wilster. Dort hatte ihr Großvater ein Manufakturwarengeschäft. Ihre Spiele und Unternehmungen werden im Tagebuch nicht nur beschrieben, sondern auch kurz kommentiert.
Der Grundton ist freudig und harmonisch. Besonders auffällig ist das Schriftbild, das die Seiten sorgfältig bis an den Rand ausfüllt. Dabei aber so sauber und ohne Fehler und Streichungen, dass es dem Druckbild in einem Sütterlin-Lehrbuch entnommen sein könnte. In späteren Eintragungen wird diese klare Schrift kleiner mit einem freien, akkuraten linken Rand. Aber wie zu Beginn genauso fehlerlos sauber.
Unter dem Titel „Operation“ beginnt sie einen Text über sechzehn Seiten: „Es war am Freitag, den 22. Juni 1934. Ich hatte seit einigen Tagen Fieber gehabt.“ Ihr Bericht über ihre Blinddarmoperation und den Krankenhaus-aufenthalt ist dadurch besonders, weil sie neben Selbstbeobachtungen vor allem die Menschen dort sehr genau wahrnimmt. Mit einer erstaunlichen Distanz beschreibt sie die Vorgänge vor und nach der Operation.
Deutlich aber steht die Krankenschwester Meta im Mittelpunkt, die sich ihr liebevoll zuwendet. Ist sie nicht anwesend, notiert Erika Krumwiede, wie sehr sie sie vermisst. Die Fünfzehnjährige schreibt kurz vor der Entlassung aus dem Krankenhaus: „Darauf kam Schwester Meta rein und sagte, was für ein Abschiedslied ich mir wünschen wollte. Ich habe ´Schönster Herr Jesu´ genommen. Nach dem Singen kam Schwester Meta noch einmal herein und fragte, ob ich mich freute, dass ich morgen schon fort dürfte. Da wurde ich auf einmal so traurig und fing an zu weinen. Schwester Meta tröstete mich. ´Aber unser Nesthäkchen wird doch nicht weinen´. Dann legte sie den Kopf auf mein Bett. Ich war trotzdem glücklich.“ Der Schlusssatz dieser Aufzeichnungen: „Schwester Meta hab ich in der Zeit sehr, sehr lieb gewonnen, sodaß ich sie in meinem ganzen Leben nicht wieder vergesse.“
Wie auf den Fotos der Zeit zeigen Notizen und auch auch das Tagebuch ein Milieu, das eine besondere religiöse und emotionale Prägung vermuten lässt. In einem Lebenslauf, den Erika Krumwiede zur Bewerbung an das „Bibelhaus Malche“ im Mai 1937 schreibt, formuliert sie das so: „…Ich bin von gläubigen Eltern erzogen worden und habe mich daher sehr früh mit göttlichen Dingen befasst. Es wurde in mir der Wunsch groß, mich Gott ganz zu ergeben. Bei einer Andacht wurde ich durch die Frage eines jungen Mädchens so erschüttert, daß ich mich unter die allmächtige Hand Gottes beugte…“ Und in einem schwarzen Heft, mit kleinen Zeichnungen ausgestattet, widmet Erika Krumwiede zu Weihnachten 1938 ihren Eltern einen auf diesem Hintergrund zu verstehenden Text. Es ist eine Selbstbeschreibung der Autorin von Kleinkindtagen bis in die Gegenwart der Neunzehnjährigen. Darin deutet sich die Spannung zwischen der behüteten Familienzeit mit Eltern und Geschwistern und dem „Kampf in dem Herzen“ durch Erlebnisse in der Welt außerhalb der häuslichen Gemeinschaft an. Vor allem aber spricht aus allen Texten die Achtung und Liebe zu den Eltern, wobei dem Vater die besondere Zuneigung gehört. Zum Schluss des Textes heißt es: „Das Kind hat jetzt gefühlt, dass der Vater und die Mutter ihm das Heiligste gegeben haben. Sie haben ihm ihre ganze Liebe geschenkt und den rechten Weg zu Gott gewiesen, den das Kind gehen will mit Gottes Hilfe.“
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