Durch eine Nichte von Erika Krumwiede, die Vikarin in Quedlinburg ist, kommt es bei Besuchen zu einer Annäherung an diese Stadt. Von 1991 bis 1994 wird Quedlinburg eine wichtige Station im Leben und Wirken von Erika Krumwiede. Ihre Ausstellung „Kunst im Knast“, Gefangene zeigen Darstellungen zu Tod und Leben, wird vom 9.3. bis 8.4.1991 dort noch einmal präsentiert.
Am 24. November 1991, im Gottesdienst am Totensonntag, ereignet sich die von Erika Krumwiede und einer kleinen Gruppe vorbereitete ungewöhnliche „Spielaktion“ zum Thema „Liebe ist stark wie der Tod“. Diese Inszenierung wirkt durch die verschiedenen Ausdrucksmittel von Bewegung, Tanz, Text, und Musik.
In dieser Zeit findet sie Kontakt zu zwei künstlerisch interessierten Männern, mit denen sie eine kleine kooperative Werkgruppe gründet. Deren Haus in der Schulstraße 5 wird zum Ort für Zukunftspläne. Erika Krumwiede beteiligt sich an der Renovierung des verfallenen Fachwerkhauses und möchte ihre kreativen Aktionen in ein Wohn- und Ausstellungsdomizil verlagern. Ein Wohnrecht wird ihr eingeräumt. Zahlreiche Treffen mit den Quedlinburgern in Hannover.
Danach finden die ersten „Waschküchengespräche“ auch in Quedlinburg statt. Ebenfalls Leseabende und das Experimentelle Erzählen. Erika Krumwiede engagiert sich mit den beiden Männern im Blick auf die 1000-Jahrfeier der Stadt. Im Januar 1994 wird die „Kulturgruppe“ im Heft „Quedel“ in Quedlinburg vorgestellt. In den Unterlagen weisen Notizen auf eine weitere Ausstellung hin: „Ouedlinburg – Gestern und heute, Restaurierung und Besichtigung eines 300 Jahre alten Hauses“ vom 20. bis 26.6.1994
Mit allen Freunden spricht sie über ihre Entscheidung, ihren aktiven Lebensabend in Quedlinburg zu gestalten. Es gibt nicht wenige skeptische Äußerungen dazu, die sie aber abwehrt.
1993 bis 1994 entwickelt sie ein Foto-Text-Projekt, das zu einem Buch führt: „Tausend Jahre Seitenblicke“ erscheint 1994 in ihrem Verlag „Glaskopf“ (mit Fotos von Siegfried Hallmann). Im Klappentext heißt es:
„Kurze Texte, auch Aphorismen beleuchten das Gesicht einer alten Stadt. Sie fordern auf, mit wachen Augen durch die Straßen zu gehen, die Schönheit alter Häuser zu sehen, aber auch die Brüchigkeit, das Sterben.
Die Aufforderung richtet sich an alle, die etwas wissen aber auch hören wollen von jahrhundertelanger Geschichte, vom Wohnen und Leben und was daraus geworden ist und noch werden wird. Die Fotokompositionen lassen sichtbar werden, was heute noch da ist und möglich sein wird….
Seitenblicke hin und her von Ost nach West – von West nach Ost…Blicke des Nichtverstehens, des Ärgers, der Überraschung, der Hoffnung, der Liebe, des Aufgebens,
des Gegenseitigfertigmachens, der Versöhnung…
des Anspruchs, des Nichtkönnens, des Nichtwollens, des Kapitulierens, der Wut, des Neuanfangs, der Enttäuschung…
des Verzichts auf Vollkommenheit, der Überheblichkeit, des Beleidigtseins, des Wiederbeginns, des Nichteinhaltens, des Nichtmehrmiteinanderredens…
das Buch liegt da mit dem Für und Wider von Ost nach West – von West nach Ost mit einem eigenen Gesicht, an das sich erst gewöhnt werden muß.“
Wie genau sie die Verhältnisse in diesem Text benannt hat, das wird Erika Krumwiede erst später erfahren. Das Buch findet in der sich im Umbruch befindlichen Stadt kaum positive Resonanz („…die Touristen wollen andere, bunte Bücher“).
Der Verkauf der Bücher verläuft schleppend. Aber auch im „Westen“ wird ihr Anliegen zu der Zeit nicht mit größerem Interesse aufgenommen. Nach einiger Zeit häufen sich auch die Unstimmigkeiten in der Zusammenarbeit an der künftigen Wirkungsstätte. Die letzten Notizen stammen aus einem Wochenend-Treffen der Gruppe (28. – 30.10.1994). In Unterlagen von 1996/97 geht hervor, dass die Gemeinsamkeiten und damit die Vorstellung von einem Leben in Quedlinburg zum Jahresende 1994 enden; damit auch die Arbeit der Quedlinburg-Gruppe. 1996 und 1997 werden auch die vertraglichen Bindungen aufgelöst.
Grün
lange Grannen, weich wie Flaum
der Wind streicht darüber hin
wie eine Hand, die über Samt streicht
Bewegen ohne Kraft – ohne Willen
kaum spürbar – wie lange Wellen
ein Spiel ohne Seufzer
Dieses Genießen ist weltvergessen
setzt sich fort und kommt wieder
auf kleinem Raum
grenzenlos wie ein nie
gesprochenes Wort
Erika Krumwiede
(Aus: Glaskopf, 1989)
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