Präsentationen sind seit den Anfängen ihrer Tätigkeit ein wesentlicher Teil der Arbeit von Erika Krumwiede. Dazu gehören bereits das Ausstatten und das Aufführen von Stücken in ihren frühen Berufsjahren. Ob Bühneninszenierungen oder später in thematischen Ausstellungen und Aktionen: immer werden ihre Ergebnisse gedanklicher Arbeit (oft aus Gruppengesprächen oder –aktionen) in einem kreativen Prozess präsentiert, der wiederum Anstoß zu gedanklichen Auseinandersetzungen mit Problemen oder Themen gibt. Die folgenden Seiten geben einen Überblick über ihre Ausstellungstätigkeit. Es werden zwölf Projekte in knappen Skizzen dargestellt, wovon eines nicht realisiert worden ist Diese Reihe kann nur andeuten, nicht aber annähernd einen Einblick in die Gedankenwelt und die Formgestaltung vermitteln. Von „oben“ gesehen können aber die Schwerpunkt und die Entwicklung ihrer kreativen Aktionen aufscheinen.
„futurspect“.
heißt die erste öffentliche Ausstellung, die im Mai 1971 im Foyer des damaligen „Amts für Gemeindedienst“ in Hannover gezeigt wird. Eine Gruppe von 10 jungen Erwachsenen (genannt: studio utoop) hat über fast zwei Jahre unter der Leitung von Erika Krumwiede an den Facetten des Themas gearbeitet. In dem Flyer zur Ausstellung heißt es: „zukunftsorientierte Laien setzen sich spielerisch – eigenwillig – und bedenklich mit der Ungewissheit von morgen auseinander“.
Das Ergebnis? Ungewöhnliche Ausstellungsobjekte zu Bereichen wie: Städtebau, Wohnen, Forschung, Medizin, Computer, Mode, Möbel, Schule, Tourismus, Fantasie, Medien, Kirche usw.
Die Ausstellung wird ganztägig von den Mitgliedern der Gruppe betreut und an „Aktiv-Stationen“ können sich die Besucher beteiligen.
„Schachtelparade“.
ist der Titel einer geplanten Galerieaktion im April 1977. Die Unterlagen geben Auskunft über eine Konzeptentwicklung zum Thema „Schachtel – Urteile, Vorurteile, Interpretation, übertragene Sprache“. Es soll eine Ausstellung von Laien sein, die zu Mitmachaktionen herausfordert. Das Projekt wird nicht realisiert, weil die Vorbereitungsgruppe sich in der längeren Planungszeit auflöst. (Im Nachlass von Erika Krumwiede finden sich hunderte verschiedene leere Schachteln aus unterschiedlichem Material; sie sammelte ständig Material für mögliche Aktionen.)
„Hoffnung“.
Kurz vor Ende ihrer Tätigkeit in der Medienzentrale wird im Foyer im Amt für Gemeindedienst eine Ausstellung eröffnet: „Hoffnung…!? Eindruck und Ausdruck von Nachdenken. Ausstellung mit Bild, Licht, Schatten, Raum, Farbe. Zum Anregen, zum Spielen, zum Diskutieren.“ (15.2. – 21.2.1979) Dieses Projekt steht im Zusammenhang mit Ergebnissen und Gesprächen nach dem „Tag der Landeskirche“ 1978 („In Grenzen leben – zur Hoffnung berufen“). Unter verschiedenen Themen werden Aktionen, Fotomaterial und Straßenspielobjekte angeboten.
„Stadt und Gestaltung“.
Vom 22. bis 23. August 1981 führt sie beim Tag der Niedersachsen eine Aktion mit einer Bilderserie durch, die einen weiteren Schwerpunkt in der Arbeit von Erika Krumwiede deutlich macht: es geht um Architektur, Bauen und Stadtgestaltung.
„Passion – Jesus in der Wüste – Bilder – Gebilde - Evangelientexte“.
Vom 14.3. bis 8.4. 1982 wird in der Markuskirche in Hannover eine Ausstellung gezeigt, die an die Tradition der „Kreuzwegstationen“ anknüpft. Hier wird die Tendenz zur Installation als besondere Präsentationsform von Erika Krumwiede markiert.
Etliche Konzepte und Entwürfe der Ausstellung führen zu einer Beschreibung, die im forum loccum (2÷1982) veröffentlicht wird:
„…Hier wird der Leidensweg Jesu als Weg durch die (Lebens-)Wüste gezeigt, Der Leidensweg beginnt schon bei der Geburt. Das „Es begab sich aber zu der Zeit“ aus der Weihnachtsgeschichte ist die Ansage der Leidenszeit Jesu. In neun Schritten (Stationen) folgt der Betrachter dieser Passion…Die Kreuzwegstationen haben die Breite eines schmalen Kirchenfensters. Vor dem Betrachter erscheinen einsame, sterile schwarz-weiße Wüstenbilder (von dem Worpsweder Fotografen Prof. F. Dressler), die von Draht umgeben sind, der geformt ist wie ein Kasten, die Wüste als Hintergrund: feiner Draht, der aussieht wie Seide und leuchtet; Maschendraht, dessen Öffnungen Einblicke geben in das innere des Raumes; Stacheldraht, der wehtut… In jedem vom Draht geschaffenen Raum ist ein Gegenstand des Alltags aufbewahrt als Signal: die rote Uhr, die die Stunde ansagt; der Nagel, ein Werkzeug des Todes; die Narde, die aus Liebe vergossen wird; der Spiegel, in dem der Betrachter sich sieht…Durch kurze Bibeltexte wird der Rückbezug zum Leben Jesu unterstrichen…Von Station zu Station ist Stille – Meditation: da ist einer, der so geliebt hat, daß er in die Wüste ging.“
Ein ausführlicher Bericht erscheint auch in der Evangelischen Zeitung.
„LITERANOVER“.
Am Literaturprogramm ist Erika Krumwiede 1986 und 1987 mit Aktionen beteiligt. Am 7.11. 1986 findet eine Collage aus Dias und Text statt: „Der Sonnengesang von Franz von Assisi“. Am 26.10. 1987 inszeniert sie in der Neustädter Hof- und Stadtkirche in Hannover wiederum eine Collage: - „eine imaginäre reise - in sechs stationen“ (siehe dort).
„Kunst im Knast – Zum Thema Leben und Tod - Gefangene entwerfen und führen aus“.
Dieses Ausstellungsprojekt ist wohl eine der am längsten geplanten Aktionen. Die ersten Überlegungen beginnen im Juni 1985 in einem Gespräch mit einem Pastor, der als Mitveranstalter von Anfang an mitwirkt. Später finden viele Waschküchengespräche zum Thema „Tod“ statt.
Insgesamt erscheinen in den Unterlagen Protokolle von 88 Treffen, die zu der Ausstellung führen. In einem Protokoll vom 15.7.1988 schreibt Erika Krumwiede: „Wir wollen eine Ausstellung machen mit dem Thema: Kooperation mit dem Tod. K. meint, das sei die Situation der Gefangenen…Wir wollen die ganze Sache mit den Gefangenen nicht für die Gefangenen machen…“. Bis Ende 1990 wird mit einer Gruppe von Gefangenen die Ausstellung im Gefängnis geplant und bis zur Erstellung der Exponate vorbereitet. Das Motto stammt aus einem ersten Gespräch mit einem der Gefangenen, der sagte: „Wir müssen erst einmal leben, um sterben zu können.“
Bereits im Oktober 1988 zeigen sich in den Notizen erste Differenzen mit dem Partner dieses Projektes. Am 12.4.1989 notiert Erika Krumwiede: „Ich machte ihm deutlich, daß die eigentliche Problematik zwischen ihm und mir liegt. Wir haben grundverschiedene Ansichten. Ich habe den Eindruck, daß K. auch therapeutisch arbeiten will. Ich will aber gern mit den Gefangenen die Ausstellung machen. Wieder ist es zu harten Auseinandersetzungen gekommen, wo eine Zusammenarbeit in Frage stand…“. Im September 1989 wird eine Arbeitsteilung beschlossen und Wilfried Bleich als neuer Partner für das Ausstellungsprojekt gewonnen. Der lange Prozess sieht zunächst eine Ausstellung durch die Evangelische Gefangenenseelsorge im Oktober 1990 im Gefängnis vor. Später soll sie dann in der Neustädter Hof- und Stadtkirche in Hannover gezeigt werden. Kontroversen gibt es vor allem bei den Texten bzw. Titeln für die Exponate.
Die Eröffnung findet mit einem Gottesdienst am 6.1. 1991 statt. Pastor Brendel, der sich für die Ausstellung in der Kirche engagiert hat, betont in der Hannoverschen Neuen Presse: „Noch nie hatten wir auf eine Ausstellung in der Kirche soviel Resonanz. Sie macht uns aber auch zu schaffen. Viele Gemeindeglieder reagieren betroffen.“
In einem weiteren Gottesdienst spricht der frühere Projektpartner in seiner Predigt über die Ausstellung. Dabei bricht für Erika Krumwiede der erwähnte Konflikt wieder auf. Wie empört sie reagieren kann, davon erzählt ein Freund. In einem Gespräch erklärt sie dem Konfliktpartner: „Ich gebe Ihnen das Du wieder zurück.“
Mit Mitgliedern der „Waschküchengruppe“ werden die Exponate später nach Quedlinburg gebracht. Am 9.3.1991 findet die Eröffnung dieser Ausstellung dort in der Nikolaikirche statt. Nach einem Gottesdienst dreht ein Fernsehteam einen Beitrag über die Ausstellung, der am 11.3.1991 im Regionalprogramm gesendet wird.
Eine veränderte und erweiterte Ausstellung „Leben und Tod – Kunst im Knast wird im Februar 1992 im „Kultur-Ort“ in Hannover gezeigt.
„Der Engel von Hannover – Man kann ja nie wissen“.
Texte von Kurt Schwitters und das Hohelied der Liebe aus der Bibel; diesen vermutbaren Gegensatz bringt Erika Krumwiede mit einer von ihr entworfenen Partitur in einer Text-Dia-Collage zur Aufführung. Am 23.8.1991 hat dieses Projekt, das zum 750jährigen Stadtjubiläum von Hannover entwickelt wird, Premiere. Wiederum in der Neustädter Hof- und Stadtkirche. Eine weitere Aufführung dieser mit mehreren Diaprojektoren inszenierten Collage findet am 29.11. 1991 statt. (Sprecher ist Klaus Hoffmann, an der Orgel Lothar Mohn.) Im Begleittext heißt es: „Collage über Collage öffnet unseren Sinnen einen weiten Raum, regt vielleicht an zum Lächeln, Nachdenken, Kopfschütteln, Stutzen, vielleicht sogar zur Empörung.“
Die Dias zeigen Kunstwerke auf den Straßen von Hannover und machen zugleich auf Erika Krumwiede als Fotografin aufmerksam. Mit dieser Collage erscheint sie fast zehn Jahre später am 29.10. 2000 im Programm der Expo: im „Garten Eden“ in der Apostelkirche in Hannover.
„Quedlinburg – Gestern und heute“.
Der Supermarkt in der Stadt ist ein fetter Leib,
dem das Kleid nicht passt.
Erika Krumwiede
(aus: Tausend Jahre Seitenblicke, 1994)
Ein Projekt aus der Zeit in Quedlinburg findet in einer Ausstellung im Rahmen der Veranstaltung „1000 Jahre Quedlinburg“ den Weg in die Öffentlichkeit. Es geht dabei um die Restaurierung und Besichtigung eines 300 Jahre alten Gebäudes – ein herausragendes Beispiel innerstädtischer Sanierung. Das ist das Haus, in dem Erika Krumwiede eine Lebens- und Arbeitsperspektive plante. Gleichzeitig nimmt die Ausstellung die zahlreichen kritischen Waschküchengespräche über Ost und West in den Jahren nach der Vereinigung auf. Sie bekommen in der Auswahl der Fotos und der Texte über eine Stadt und deren verfallende Architektur ein Gesicht. (Vom 20.6. bis 26.6.1994)
Aus den Läden fließt Geld auf die Straße.
Das schöne, alte Haus darüber
hört sein Echo nicht mehr
Erika Krumwiede
(Aus: Tausend Jahre Seitenblicke, 1994)
„Museum Utopie – Experiment gestern, heute, morgen“.
„Alle Sinne des Menschen sensibel zu machen, nicht nur einseitig Auge oder Ohr, nennt Klaus Hoffmann als Aufgabe der Medienarbeit. Im Umgang mit Künstlern könne man erfahren, wie heute gedacht und gestaltet wird, wie Wirklichkeit wahrgenommen wird.“ Das schreibt die Evangelische Zeitung am 14.4.1996 in ihrem Bericht über die „Kulturtage zum 20jährigen Bestehen der „Medienzentrale“.
Auch auf die Jubiläumsausstellung „Museum Utopie“ trifft das zu. Vom 21.4. bis 3.5.1996 zeigen Erika Krumwiede und Gerhard Dahle Materialien und Exponate aus der Arbeit mit Medien im Foyer im Amt für Gemeindedienst. Wie zukunftsfähig die Arbeit von Erika Krumwiede ist, wird an 20 Jahre alten Exponaten und verschiedenen Arbeitsprojekten deutlich. In einem Begleittext heißt es:
„Die Ausstellung gibt einen exemplarischen Einblick in zurückliegende Abläufe, Überlegungen und Ergebnisse der Arbeit mit einer Vielzahl von Medien. Sie ist entstanden bei der Durchsicht der Unterlagen aus zwei Jahrzehnten. Wir haben mit Überraschung entdeckt, wie bedeutend die inhaltlichen Impulse gestern waren, heute sind und morgen sein werden. Die Gedanken, Ideen und Fragen, die es zu überblicken galt, dokumentieren Hintergründe, geschichtliche Abläufe und Kirche als lebendigen Organismus in der Zeit.“
Die Notizen aus dem September 1995 zeigen, dass es immer einen „Vorsatz“ am Beginn ihrer Arbeit gibt: „Es soll deutlich werden, daß auch damals schon politisch gearbeitet worden ist und daß in der Vergangenheit schon Utopie enthalten ist.“ Zahlreich sind auch für diesen Anlass die Protokollnotizen der Vorbereitungstreffen und die konzeptionellen Überlegungen.
Gründlich bis ins Detail arbeitet Erika Krumwiede. Das hat bei manchen Projekten die Geduld ihrer Gesprächspartner und Mitgestalter gefordert. Alle Schritte im Konzept noch einmal durchdenken, alle Abläufe erneut durchspielen. Die Liste mit ihren Fragen und Themen abarbeiten. Aber nie haben ihre Ausstellungen diesen „Hochglanzcharakter“, als wären sie von einer Agentur mit perfekten Mitteln erstellt. Im Gegenteil: das Experimentelle, die Aktion, das ungewöhnlich Gesammelte und Arrangierte, die Impulse zur Mitgestaltung sind ihre Markenzeichen, die manche Betrachter durchaus irritieren.
„Paradoxes Geschehen“.
Von Projekt zu Projekt verlagert sich der Schwerpunkt ihrer Ausstellungen zu Installationen mit Aktionen. Erika Krumwiede zeigt anlässlich der Theatertage in der Ruine der Aegidienkirche in Hannover eine Rauminstallation vom 28.4. bis 8.5.1997 (mit Holger Kirleis, Musik und Ulrike Wallis, Tanz). Ein Erlebnisraum mit Alltagsdingen in neuer Interpretation öffnet sich begehbar den Besuchern. Gardinen, Papprollen, Marmeladengläser, matte Spiegel, Stühle mit Hüten u.a. werden inszeniert. Dazu schreibt sie in einem Begleittext:
„Unsere Welt ist voll von paradoxem Geschehen:
der Spiegel zerstört unserer Gesicht wird zur Wand, hinter der wir uns verstecken
die Gardinen bieten uns geschlossene Räume, Schutz vor fremden Blicken. Sie werden zu Segeln in eine weite fremde Welt
die Rohre, gerichtet in unermessliche, unbekannte Welten, werden Spielzeug
die Gläser ohne Nahrung werden zur gläsernen Wand, ein Schmuckstück für die Straße
elektrische Birnen ohne Leuchtkraft geben dem Haus ein besonderes Gesicht
In dieser paradoxen Welt erscheint Gott. Er schafft Chaos und unerträgliche Stille.
Er wohnt nicht in sakralen Räumen.
Er gebietet: Was machst du hier – Geh heraus – Richte aus.
Aber unser Rückzug findet statt in die Räume der Kirchen. Sie schützen uns vor Gott…“
In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung heißt es am 3.5. 1997:
„Alle diese und weitere Objekte, vormals Alltagsdinge mit festgelegtem Zweck, haben eine andere Bedeutung bekommen, und die Gemeinde (im ehemaligen Vorraum der Aegidienkirche in drei leeren Stühlen symbolisiert) kehrt dem Wandel der Dinge, dem Geschehen draußen, den Rücken zu…Die hannoversche Autorin, Künstlerin und Dozentin für Ästhetik und Kommunikation Erika Krumwiede setzt mit ihrer Rauminstallation in der Aegidienkirche an der Wurzel an…“
Wie sie kuriose Situationen wahrnimmt, ist in einer Notiz nachzulesen. Mit dem Künstler, der die Musik zur Installation inszenieren wird, trifft sie sich in einem Restaurant. Sie hören sich Stimmproben vom Band an. Aus dem Protokoll vom 17.4.1997:
„Wir haben ausführlich darüber gesprochen, was ich unter der Stimme Gottes mir vorstelle. Er hat das Band laut eingestellt und laufen lassen. Plötzlich erklang laut: Geh heraus. Da sprang ein Mann vom Nachbartisch auf und rief laut: „Da redet ja Gott“. Ich sagte: „Ja, das stimmt.“
„Auferstehung“.
Baumstümpfe verteilt im großen Raum, darauf jeweils an Stangen befestigt weiße „Fahnen“ mit Schrift. Von Stange zu Stange sind Seile gespannt. So zieht sich die Installation als Labyrinth durch die Ruine der Aegidienkirche in Hannover. Aus einem Text im Buch „Die Ruine steht auf“ von Erika Krumwiede:
„Ich gehe die Straßen entlang, durch Häuser, die Treppen hoch, sitze im Warteraum, auf dem Behandlungsstuhl, in der Taxe
Ich kaufe, esse, sehe mir etwas an, bezahle
Und überall sind Menschen. Überall sind Geräusche. Überall wird geredet, gelacht, geschimpft, gefragt, geantwortet.
Ich frage die Mutter, das Kind, den Mann, die Frau, den Arzt, den Taxifahrer, die Verkäuferin, die Arzthelferin, die Apothekerin, den Studenten, die Krankenschwester, den Freund, den Bruder, die Bankangestellte, den Architekten, den Handwerker, die Postbotin, den Pastor, den Polizisten, den Unbekannten:
„Was halten Sie von Auferstehung? Glauben Sie an Auferstehung? Wissen Sie, was Auferstehung ist? Denken Sie manchmal über Auferstehung nach?“ Und alle antworten.
Niemand fragt, was Auferstehung ist. Alle antworten – manchmal schnell, manchmal nachdenklich, manchmal lächelnd, manchmal fragend, manchmal unwirsch, manchmal erleichtert.
Ich spüre Angst, Verwunderung, Erschrecken, Neugier, Zurückhaltung, Lachen, sich Verschließen, Fragen, sich Öffnen – über hundert Menschen.
„Sie werden auf Fähnchen erscheinen“. Ich sage es Ihnen, sie wissen es. „In der Ruine werden Sie zu lesen sein. Ihr Name bleibt ein Geheimnis.“ Niemand lehnt ab. Sonst spricht man nicht darüber.“
Es ist die letzte Ausstellung von Erika Krumwiede. Am 26.11.1997 macht sie die erste Notiz über die geplante Ausstellung zum Thema „Auferstehung“. Bereits am 5.4. 1998 wird sie eröffnet. Bis 24.4.1998 gehen die Menschen einen Meditationsweg an den Seilen entlang und lesen die Sätze auf den Fahnen:
„Gott hält Gericht. Ich lasse mir das nicht gefallen“, „Auferstehung – es stimmt alles. Es muß einer da sein, der die Welt gemacht hat“, „Auferstehung ist Humbug“, „Wenn wir mit Jesus auferstehen, begreifen wir die Gottes Nähe“, “Ich muß auferstehen, ich bin wichtig“, „Man braucht einen Wecker“.
Das sind nur einige von vielen Antworten, die Erika Krumwiede gesammelt hat. Dazu sind „menschliche Geräusche“ aus einer Klanginstallation zu hören, laut, manchmal unheimlich. Aus der Predigt von Superintendent Hans Werner Dannowski am Ostersonntag am Ort der Installation:
“Unser Leben, ein Gang von der Geburt zum Tod, ein Weg zwischen Lachen und Weinen, zwischen Atmen und Keuchen, Lust und Leid. ..Geräusche unseres Lebens – können wir sie hören? Was geben sie von uns preis?… Pulsschlag, Lachen, Atmen. Eine verwirrende Fülle von Geräuschen, die einen Menschen ausmachen. Ein Labyrinth von Geräuschen, in dem wir uns völlig selbstverständlich bewegen. Auferstehung: das ist ein Überschreiten dieser labyrinthischen Erfahrung? Oder ist Auferstehung der Faden, die Schnur, die die Richtung weist?…
Einen letzten Blick will ich noch einmal über diese ganze Kirche werfen. Ein schwerer Raum ist er, die Narben bleiben sichtbar und sollen sichtbar bleiben, die Haß und Krieg diesem Leben eingezeichnet haben. Mit der Installation aber wird dieser Raum auf einmal leicht und hell. Wie Siegesfähnchen flattern die Zettel im Wind, das darauf Geschriebene löst sich auf in Licht. Zeit der Auferstehung ist es, da wird unser Mund voll Lachens sein und unsere Herzen von Neugier voll.“
In seiner Eröffnungsrede sagt der Leiter der Medienzentrale Klaus Hoffmann über Erika Krumwiede:
„In ihrem ganzen Leben will sie immer wieder kostbare kreative Freiräume für neue Erfahrungen, Gedanken und Gefühle und fürs Spiel aufspüren und gestalten…Erika Krumwiede hat über 100 Menschen gefragt… hat die Antworten gesammelt. Sie strukturiert und bewertet sie aber nicht, präsentiert hier keine Ergebnisse, sondern konfrontiert uns mit diesen individuellen Antwortversuchen…
Dieses Labyrinth hier ist kein Irrgarten, kein Symbol für Gefangenschaft und Ausweglosigkeit, für die Unbegreiflichkeit und die Undurchsichtigkeit unseres Lebens. Hier herrscht das Prinzip ´Umweg ´- man kann sich nicht auf einen geraden Weg mit eindeutigem Ziel begeben, man muß herumgehen, von allen Seiten den Raum umgehen und mit den persönlichen Mitteilungen und den eigenen Assoziationen umgehen…“
Das Fazit in einem Bericht der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung:
„Wer sich in einer suggestiven Umgebung und auf ungewöhnliche Weise auf Ostern vorbereiten möchte, sollte die Ausstellung der hannoverschen Künstlerin in der Aegidienkirche besuchen.“
In einem eindrucksvollen Video lässt sich die Installation gut nachvollziehen.
Ebenso in dem Ende des Jahres 1998 erscheinenden Buch (mit CD) „Die Ruine steht auf“, dessen Grundlage die Installation darstellt.
Danke sage ich
schnell laut langsam leise
schreie ich
immerfort
dem, der mich ansieht – egal wie
mir selbst ohne Unterbrechung
allem, was geschieht
allem, was über mich kommt
den abertausend Fragen ohne Antwort
ich verstehe und verstehe nicht
Angst
das ist Auferstehung
über dieses Leben hinaus
Erika Krumwiede
(aus: Die Ruine steht auf, 1998)
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