Projekt Ausstellungen

Prä­sen­ta­tio­nen sind seit den Anfän­gen ihrer Tätig­keit ein wesent­li­cher Teil der Arbeit von Erika Krum­wiede. Dazu gehö­ren bereits das Aus­stat­ten und das Auf­füh­ren von Stü­cken in ihren frü­hen Berufs­jah­ren. Ob Büh­nen­in­sze­nie­run­gen oder spä­ter in the­ma­ti­schen Aus­stel­lun­gen und Aktio­nen: immer wer­den ihre Ergeb­nisse gedank­li­cher Arbeit (oft aus Grup­pen­ge­sprä­chen oder –aktio­nen) in einem krea­ti­ven Pro­zess prä­sen­tiert, der wie­derum Anstoß zu gedank­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Pro­ble­men oder The­men gibt. Die fol­gen­den Sei­ten geben einen Über­blick über ihre Aus­stel­lungs­tä­tig­keit. Es wer­den zwölf Pro­jekte in knap­pen Skiz­zen dar­ge­stellt, wovon eines nicht rea­li­siert wor­den ist Diese Reihe kann nur andeu­ten, nicht aber annä­hernd einen Ein­blick in die Gedan­ken­welt und die Form­ge­stal­tung ver­mit­teln. Von „oben“ gese­hen kön­nen aber die Schwer­punkt und die Ent­wick­lung ihrer krea­ti­ven Aktio­nen aufscheinen.

 

„futur­spect“.

heißt die erste öffent­li­che Aus­stel­lung, die im Mai 1971 im Foyer des dama­li­gen „Amts für Gemein­de­dienst“  in Han­no­ver gezeigt wird. Eine Gruppe von 10 jun­gen Erwach­se­nen (genannt: stu­dio utoop) hat über fast zwei Jahre unter der Lei­tung von Erika Krum­wiede an den Facet­ten des The­mas gear­bei­tet. In dem Flyer zur Aus­stel­lung heißt es: „zukunfts­ori­en­tierte Laien set­zen sich spie­le­risch – eigen­wil­lig – und bedenk­lich mit der Unge­wiss­heit von mor­gen aus­ein­an­der“.

Das Ergeb­nis? Unge­wöhn­li­che Aus­stel­lungs­ob­jekte zu Berei­chen wie: Städ­te­bau, Woh­nen, For­schung, Medi­zin, Com­pu­ter, Mode, Möbel, Schule, Tou­ris­mus, Fan­ta­sie, Medien, Kir­che usw.

Die Aus­stel­lung wird ganz­tä­gig von den Mit­glie­dern der Gruppe betreut und an „Aktiv-Stationen“ kön­nen sich die Besu­cher beteiligen.

„Schach­tel­pa­rade“.

ist der Titel einer geplan­ten Gale­rie­ak­tion im April 1977. Die Unter­la­gen geben Aus­kunft über eine Kon­zept­ent­wick­lung zum Thema „Schach­tel – Urteile, Vor­ur­teile, Inter­pre­ta­tion, über­tra­gene Spra­che“. Es soll eine Aus­stel­lung von Laien sein, die zu Mit­mach­ak­tio­nen her­aus­for­dert. Das Pro­jekt wird nicht rea­li­siert, weil die Vor­be­rei­tungs­gruppe sich in der län­ge­ren Pla­nungs­zeit auf­löst. (Im Nach­lass von Erika Krum­wiede fin­den sich hun­derte ver­schie­dene leere Schach­teln aus unter­schied­li­chem Mate­rial; sie sam­melte stän­dig Mate­rial für mög­li­che Aktionen.)

 

„Hoff­nung“.

Kurz vor Ende ihrer Tätig­keit in der Medi­en­zen­trale wird im Foyer im Amt für Gemein­de­dienst eine Aus­stel­lung eröff­net: „Hoff­nung…!? Ein­druck und Aus­druck von Nach­den­ken. Aus­stel­lung mit Bild, Licht, Schat­ten, Raum, Farbe. Zum Anre­gen, zum Spie­len, zum Dis­ku­tie­ren.“ (15.2. – 21.2.1979) Die­ses Pro­jekt steht im Zusam­men­hang mit Ergeb­nis­sen und Gesprä­chen nach dem „Tag der Lan­des­kir­che“ 1978 („In Gren­zen leben – zur Hoff­nung beru­fen“). Unter ver­schie­de­nen The­men wer­den Aktio­nen, Foto­ma­te­rial und Stra­ßen­spiel­ob­jekte angeboten.

 

„Stadt und Gestaltung“.

Vom 22. bis 23. August 1981 führt sie beim Tag der Nie­der­sach­sen eine Aktion mit einer Bil­der­se­rie durch, die einen wei­te­ren Schwer­punkt in der Arbeit von Erika Krum­wiede deut­lich macht: es geht um Archi­tek­tur, Bauen und Stadtgestaltung.

 

„Pas­sion – Jesus in der Wüste – Bil­der – Gebilde - Evangelientexte“.

Vom 14.3. bis 8.4. 1982 wird in der Mar­kus­kir­che in Han­no­ver eine Aus­stel­lung gezeigt, die an die Tra­di­tion der „Kreuz­weg­sta­tio­nen“ anknüpft. Hier wird die Ten­denz zur Instal­la­tion als beson­dere Prä­sen­ta­ti­ons­form von Erika Krum­wiede markiert.

Etli­che Kon­zepte und Ent­würfe der Aus­stel­lung füh­ren zu einer Beschrei­bung, die im forum loc­cum (2÷1982) ver­öf­fent­licht wird:

…Hier wird der Lei­dens­weg Jesu als Weg durch die (Lebens-)Wüste gezeigt, Der Lei­dens­weg beginnt schon bei der Geburt. Das „Es begab sich aber zu der Zeit“ aus der Weih­nachts­ge­schichte ist die Ansage der Lei­dens­zeit Jesu. In neun Schrit­ten (Sta­tio­nen) folgt der Betrach­ter die­ser Passion…Die Kreuz­weg­sta­tio­nen haben die Breite eines schma­len Kir­chen­fens­ters. Vor dem Betrach­ter erschei­nen ein­same, ste­rile schwarz-weiße Wüs­ten­bil­der (von dem Worps­we­der Foto­gra­fen Prof. F. Dress­ler), die von Draht umge­ben sind, der geformt ist wie ein Kas­ten, die Wüste als Hin­ter­grund: fei­ner Draht, der aus­sieht wie Seide und leuch­tet; Maschen­draht, des­sen Öff­nun­gen Ein­bli­cke geben in das innere des Rau­mes; Sta­chel­draht, der weh­tut… In jedem vom Draht geschaf­fe­nen Raum ist ein Gegen­stand des All­tags auf­be­wahrt als Signal: die rote Uhr, die die Stunde ansagt; der Nagel, ein Werk­zeug des Todes; die Narde, die aus Liebe ver­gos­sen wird; der Spie­gel, in dem der Betrach­ter sich sieht…Durch kurze Bibel­texte wird der Rück­be­zug zum Leben Jesu unterstrichen…Von Sta­tion zu Sta­tion ist Stille – Medi­ta­tion: da ist einer, der so geliebt hat, daß er in die Wüste ging.“

 

Ein aus­führ­li­cher Bericht erscheint auch in der Evan­ge­li­schen Zeitung.

LITERANOVER“.

Am Lite­ra­tur­pro­gramm ist Erika Krum­wiede 1986 und 1987 mit Aktio­nen betei­ligt. Am 7.11. 1986 fin­det eine Col­lage aus Dias und Text statt: „Der Son­nen­ge­sang von Franz von Assisi“. Am 26.10. 1987 insze­niert sie in der Neu­städ­ter Hof- und Stadt­kir­che in Han­no­ver wie­derum eine Col­lage: - „eine ima­gi­näre reise - in sechs sta­tio­nen“ (siehe dort).

 

„Kunst im Knast – Zum Thema Leben und Tod - Gefan­gene ent­wer­fen und füh­ren aus“.

Die­ses Aus­stel­lungs­pro­jekt ist wohl eine der am längs­ten geplan­ten Aktio­nen. Die ers­ten Über­le­gun­gen begin­nen im Juni 1985 in einem Gespräch mit einem Pas­tor, der als Mit­ver­an­stal­ter von Anfang an mit­wirkt. Spä­ter fin­den viele Wasch­kü­chen­ge­sprä­che zum Thema „Tod“ statt.

Ins­ge­samt erschei­nen in den Unter­la­gen Pro­to­kolle von 88 Tref­fen, die zu der Aus­stel­lung füh­ren. In einem Pro­to­koll vom 15.7.1988 schreibt Erika Krum­wiede: „Wir wol­len eine Aus­stel­lung machen mit dem Thema: Koope­ra­tion mit dem Tod. K. meint, das sei die Situa­tion der Gefangenen…Wir wol­len die ganze Sache mit den Gefan­ge­nen nicht für die Gefan­ge­nen machen…“. Bis Ende 1990 wird mit einer Gruppe von Gefan­ge­nen die Aus­stel­lung im Gefäng­nis geplant und bis zur Erstel­lung der Expo­nate vor­be­rei­tet. Das Motto stammt aus einem ers­ten Gespräch mit einem der Gefan­ge­nen, der sagte: „Wir müs­sen erst ein­mal leben, um ster­ben zu können.“

Bereits im Okto­ber 1988 zei­gen sich in den Noti­zen erste Dif­fe­ren­zen mit dem Part­ner die­ses Pro­jek­tes. Am 12.4.1989 notiert Erika Krum­wiede: „Ich machte ihm deut­lich, daß die eigent­li­che Pro­ble­ma­tik zwi­schen ihm und mir liegt. Wir haben grund­ver­schie­dene Ansich­ten. Ich habe den Ein­druck, daß K. auch the­ra­peu­tisch arbei­ten will. Ich will aber gern mit den Gefan­ge­nen die Aus­stel­lung machen. Wie­der ist es zu har­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen gekom­men, wo eine Zusam­men­ar­beit in Frage stand…“. Im Sep­tem­ber 1989 wird eine Arbeits­tei­lung beschlos­sen und Wil­fried Bleich als neuer Part­ner für das Aus­stel­lungs­pro­jekt gewon­nen. Der lange Pro­zess sieht zunächst eine Aus­stel­lung durch die Evan­ge­li­sche Gefan­ge­nen­seel­sorge im Okto­ber 1990 im Gefäng­nis vor. Spä­ter soll sie dann in der Neu­städ­ter Hof- und Stadt­kir­che in Han­no­ver gezeigt wer­den. Kon­tro­ver­sen gibt es vor allem bei den Tex­ten bzw. Titeln für die Exponate.

Die Eröff­nung fin­det mit einem Got­tes­dienst am 6.1. 1991 statt. Pas­tor Bren­del, der sich für die Aus­stel­lung in der Kir­che enga­giert hat, betont in der Han­no­ver­schen Neuen Presse: „Noch nie hat­ten wir auf eine Aus­stel­lung in der Kir­che soviel Reso­nanz. Sie macht uns aber auch zu schaf­fen. Viele Gemein­de­glie­der rea­gie­ren betrof­fen.“

In einem wei­te­ren Got­tes­dienst spricht der frü­here Pro­jekt­part­ner in sei­ner Pre­digt über die Aus­stel­lung. Dabei bricht für Erika Krum­wiede der erwähnte Kon­flikt wie­der auf. Wie empört sie rea­gie­ren kann, davon erzählt ein Freund. In einem Gespräch erklärt sie dem Kon­flikt­part­ner: „Ich gebe Ihnen das Du wie­der zurück.“

Mit Mit­glie­dern der „Wasch­kü­chen­gruppe“ wer­den die Expo­nate spä­ter nach Qued­lin­burg gebracht. Am 9.3.1991 fin­det die Eröff­nung die­ser Aus­stel­lung dort in der Niko­lai­kir­che statt. Nach einem Got­tes­dienst dreht ein Fern­seh­team einen Bei­trag über die Aus­stel­lung, der am 11.3.1991 im Regio­nal­pro­gramm gesen­det wird.

Eine ver­än­derte und erwei­terte Aus­stel­lung „Leben und Tod – Kunst im Knast wird im Februar 1992 im „Kultur-Ort“ in Han­no­ver gezeigt.

 

„Der Engel von Han­no­ver – Man kann ja nie wissen“.

Texte von Kurt Schwit­ters und das Hohe­lied der Liebe aus der Bibel; die­sen ver­mut­ba­ren Gegen­satz bringt Erika Krum­wiede mit einer von ihr ent­wor­fe­nen Par­ti­tur in einer Text-Dia-Collage zur Auf­füh­rung. Am 23.8.1991 hat die­ses Pro­jekt, das zum 750jährigen Stadt­ju­bi­läum von Han­no­ver ent­wi­ckelt wird,  Pre­miere. Wie­derum in der Neu­städ­ter Hof- und Stadt­kir­che. Eine wei­tere Auf­füh­rung die­ser mit meh­re­ren Dia­pro­jek­to­ren insze­nier­ten Col­lage fin­det am 29.11. 1991 statt. (Spre­cher ist Klaus Hoff­mann, an der Orgel Lothar Mohn.) Im Begleit­text heißt es: „Col­lage über Col­lage öff­net unse­ren Sin­nen einen wei­ten Raum, regt viel­leicht an zum Lächeln, Nach­den­ken, Kopf­schüt­teln, Stut­zen, viel­leicht sogar zur Empö­rung.“

Die Dias zei­gen Kunst­werke auf den Stra­ßen von Han­no­ver und machen zugleich auf Erika Krum­wiede als Foto­gra­fin auf­merk­sam. Mit die­ser Col­lage erscheint sie fast zehn Jahre spä­ter am 29.10. 2000 im Pro­gramm der Expo: im „Gar­ten Eden“ in der Apos­tel­kir­che in Hannover.

 

„Qued­lin­burg – Ges­tern und heute“.

Der Super­markt in der Stadt ist ein fet­ter Leib,

dem das Kleid nicht passt.

 Erika Krumwiede

(aus: Tau­send Jahre Sei­ten­bli­cke, 1994)

 Ein Pro­jekt aus der Zeit in Qued­lin­burg fin­det in einer Aus­stel­lung im Rah­men der Ver­an­stal­tung „1000 Jahre Qued­lin­burg“ den Weg in die Öffent­lich­keit. Es geht dabei um die Restau­rie­rung und Besich­ti­gung eines 300 Jahre alten Gebäu­des – ein her­aus­ra­gen­des Bei­spiel inner­städ­ti­scher Sanie­rung. Das ist das Haus, in dem Erika Krum­wiede eine Lebens- und Arbeits­per­spek­tive plante. Gleich­zei­tig nimmt die Aus­stel­lung die zahl­rei­chen kri­ti­schen Wasch­kü­chen­ge­sprä­che über Ost und West in den Jah­ren nach der Ver­ei­ni­gung auf. Sie bekom­men in der Aus­wahl der Fotos und der Texte über eine Stadt und deren ver­fal­lende Archi­tek­tur ein Gesicht. (Vom 20.6. bis 26.6.1994)

Aus den Läden fließt Geld auf die Straße.

Das schöne, alte Haus darüber

hört sein Echo nicht mehr

 Erika Krumwiede

(Aus: Tau­send Jahre Sei­ten­bli­cke, 1994)

 

 „Museum Uto­pie – Expe­ri­ment ges­tern, heute, morgen“.

„Alle Sinne des Men­schen sen­si­bel zu machen, nicht nur ein­sei­tig Auge oder Ohr, nennt Klaus Hoff­mann als Auf­gabe der Medi­en­ar­beit. Im Umgang mit Künst­lern könne man erfah­ren, wie heute gedacht und gestal­tet wird, wie Wirk­lich­keit wahr­ge­nom­men wird.“ Das schreibt die Evan­ge­li­sche Zei­tung am 14.4.1996 in ihrem Bericht über die „Kul­tur­tage zum 20jährigen Beste­hen der „Medienzentrale“.

Auch auf die Jubi­lä­ums­aus­stel­lung „Museum Uto­pie“ trifft das zu. Vom 21.4. bis 3.5.1996 zei­gen Erika Krum­wiede und Ger­hard Dahle Mate­ria­lien und Expo­nate aus der Arbeit mit Medien im Foyer im Amt für Gemein­de­dienst. Wie zukunfts­fä­hig die Arbeit von Erika Krum­wiede ist, wird an 20 Jahre alten Expo­na­ten und ver­schie­de­nen Arbeits­pro­jek­ten deut­lich. In einem Begleit­text heißt es:

„Die Aus­stel­lung gibt einen exem­pla­ri­schen Ein­blick in zurück­lie­gende Abläufe, Über­le­gun­gen und Ergeb­nisse der Arbeit mit einer Viel­zahl von Medien. Sie ist ent­stan­den bei der Durch­sicht der Unter­la­gen aus zwei Jahr­zehn­ten. Wir haben mit Über­ra­schung ent­deckt, wie bedeu­tend die inhalt­li­chen Impulse ges­tern waren, heute sind und mor­gen sein wer­den. Die Gedan­ken, Ideen und Fra­gen, die es zu über­bli­cken galt, doku­men­tie­ren Hin­ter­gründe, geschicht­li­che Abläufe und Kir­che als leben­di­gen Orga­nis­mus in der Zeit.“

Die Noti­zen aus dem Sep­tem­ber 1995 zei­gen, dass es immer einen „Vor­satz“ am Beginn ihrer Arbeit gibt:  „Es soll deut­lich wer­den, daß auch damals schon poli­tisch gear­bei­tet wor­den ist und daß in der Ver­gan­gen­heit schon Uto­pie ent­hal­ten ist.“ Zahl­reich sind auch für die­sen Anlass die Pro­to­koll­no­ti­zen der Vor­be­rei­tungs­tref­fen und die kon­zep­tio­nel­len Überlegungen.

Gründ­lich bis ins Detail arbei­tet Erika Krum­wiede. Das hat bei man­chen Pro­jek­ten die Geduld ihrer Gesprächs­part­ner und Mit­ge­stal­ter gefor­dert. Alle Schritte im Kon­zept noch ein­mal durch­den­ken, alle Abläufe erneut durch­spie­len. Die Liste mit ihren Fra­gen und The­men abar­bei­ten. Aber nie haben ihre Aus­stel­lun­gen die­sen „Hoch­glanz­cha­rak­ter“, als wären sie von einer Agen­tur mit per­fek­ten Mit­teln erstellt. Im Gegen­teil: das Expe­ri­men­telle, die Aktion, das unge­wöhn­lich Gesam­melte und Arran­gierte, die Impulse zur Mit­ge­stal­tung sind ihre Mar­ken­zei­chen, die man­che Betrach­ter durch­aus irritieren.

 

„Para­do­xes Geschehen“.

Von Pro­jekt zu Pro­jekt ver­la­gert sich der Schwer­punkt ihrer Aus­stel­lun­gen zu Instal­la­tio­nen mit Aktio­nen. Erika Krum­wiede zeigt anläss­lich der Thea­ter­tage in der Ruine der Aegi­di­en­kir­che in Han­no­ver eine Raum­in­stal­la­tion vom 28.4. bis 8.5.1997 (mit Hol­ger Kir­leis, Musik und Ulrike Wal­lis, Tanz). Ein Erleb­nis­raum mit All­tags­din­gen in neuer Inter­pre­ta­tion öff­net sich begeh­bar den Besu­chern. Gar­di­nen, Pap­prol­len, Mar­me­la­den­glä­ser, matte Spie­gel, Stühle mit Hüten u.a. wer­den insze­niert. Dazu schreibt sie in einem Begleittext:

„Unsere Welt ist voll von para­do­xem Geschehen:

der Spie­gel zer­stört unse­rer Gesicht wird zur Wand, hin­ter der wir uns ver­ste­cken

die Gar­di­nen bie­ten uns geschlos­sene Räume, Schutz vor frem­den Bli­cken. Sie wer­den zu Segeln in eine weite fremde Welt

die Rohre, gerich­tet in uner­mess­li­che, unbe­kannte Wel­ten, wer­den Spielzeug

 die Glä­ser ohne Nah­rung wer­den zur glä­ser­nen Wand, ein Schmuck­stück für die Straße

elek­tri­sche Bir­nen ohne Leucht­kraft geben dem Haus ein beson­de­res Gesicht

 In die­ser para­do­xen Welt erscheint Gott. Er schafft Chaos und uner­träg­li­che Stille.

Er wohnt nicht in sakra­len Räu­men.

Er gebie­tet: Was machst du hier – Geh her­aus – Richte aus.

Aber unser Rück­zug fin­det statt in die Räume der Kir­chen. Sie schüt­zen uns vor Gott…“

In der Han­no­ver­schen All­ge­mei­nen Zei­tung heißt es am 3.5. 1997:

„Alle diese und wei­tere Objekte, vor­mals All­tags­dinge mit fest­ge­leg­tem Zweck, haben eine andere Bedeu­tung bekom­men, und die Gemeinde (im ehe­ma­li­gen Vor­raum der Aegi­di­en­kir­che in drei lee­ren Stüh­len sym­bo­li­siert) kehrt dem Wan­del der Dinge, dem Gesche­hen drau­ßen, den Rücken zu…Die han­no­ver­sche Auto­rin, Künst­le­rin und Dozen­tin für Ästhe­tik und Kom­mu­ni­ka­tion Erika Krum­wiede setzt mit ihrer Raum­in­stal­la­tion in der Aegi­di­en­kir­che an der Wur­zel an…“

 Wie sie kuriose Situa­tio­nen wahr­nimmt, ist in einer Notiz nach­zu­le­sen. Mit dem Künst­ler, der die Musik zur Instal­la­tion insze­nie­ren wird, trifft sie sich in einem Restau­rant. Sie hören sich Stimm­pro­ben vom Band an. Aus dem Pro­to­koll vom 17.4.1997:

 „Wir haben aus­führ­lich dar­über gespro­chen, was ich unter der Stimme Got­tes mir vor­stelle. Er hat das Band laut ein­ge­stellt und lau­fen las­sen. Plötz­lich erklang laut: Geh her­aus. Da sprang ein Mann vom Nach­bar­tisch auf und rief laut: „Da redet ja Gott“. Ich sagte: „Ja, das stimmt.“

 

Auf­er­ste­hung“.

Baum­stümpfe ver­teilt im gro­ßen Raum, dar­auf jeweils an Stan­gen befes­tigt weiße „Fah­nen“ mit Schrift. Von Stange zu Stange sind Seile gespannt. So zieht sich die Instal­la­tion als Laby­rinth durch die Ruine der Aegi­di­en­kir­che in Han­no­ver. Aus einem Text im Buch „Die Ruine steht auf“ von Erika Krumwiede:

 „Ich gehe die Stra­ßen ent­lang, durch Häu­ser, die Trep­pen hoch, sitze im War­te­raum, auf dem Behand­lungs­stuhl, in der Taxe

Ich kaufe, esse, sehe mir etwas an, bezahle

 Und über­all sind Men­schen. Über­all sind Geräu­sche. Über­all wird gere­det, gelacht, geschimpft, gefragt, geantwortet.

 Ich frage die Mut­ter, das Kind, den Mann, die Frau, den Arzt, den Taxi­fah­rer, die Ver­käu­fe­rin, die Arzt­hel­fe­rin, die Apo­the­ke­rin, den Stu­den­ten, die Kran­ken­schwes­ter, den Freund, den Bru­der, die Bank­an­ge­stellte, den Archi­tek­ten, den Hand­wer­ker, die Post­bo­tin, den Pas­tor, den Poli­zis­ten, den Unbe­kann­ten:

„Was hal­ten Sie von Auf­er­ste­hung? Glau­ben Sie an Auf­er­ste­hung? Wis­sen Sie, was Auf­er­ste­hung ist? Den­ken Sie manch­mal über Auf­er­ste­hung nach?“ Und alle ant­wor­ten.

Nie­mand fragt, was Auf­er­ste­hung ist. Alle ant­wor­ten – manch­mal schnell, manch­mal nach­denk­lich, manch­mal lächelnd, manch­mal fra­gend, manch­mal unwirsch, manch­mal erleich­tert.

Ich spüre Angst, Ver­wun­de­rung, Erschre­cken, Neu­gier, Zurück­hal­tung, Lachen, sich Ver­schlie­ßen, Fra­gen, sich Öff­nen – über hun­dert Menschen.

 „Sie wer­den auf Fähn­chen erschei­nen“. Ich sage es Ihnen, sie wis­sen es. „In der Ruine wer­den Sie zu lesen sein. Ihr Name bleibt ein Geheim­nis.“ Nie­mand lehnt ab. Sonst spricht man nicht darüber.“

Es ist die letzte Aus­stel­lung von Erika Krum­wiede. Am 26.11.1997 macht sie die erste Notiz über die geplante Aus­stel­lung zum Thema „Auf­er­ste­hung“. Bereits am 5.4. 1998 wird sie eröff­net. Bis 24.4.1998 gehen die Men­schen einen Medi­ta­ti­ons­weg an den Sei­len ent­lang und lesen die Sätze auf den Fahnen:

„Gott hält Gericht. Ich lasse mir das nicht gefal­len“, „Auf­er­ste­hung – es stimmt alles. Es muß einer da sein, der die Welt gemacht hat“, „Auf­er­ste­hung ist Hum­bug“, „Wenn wir mit Jesus auf­er­ste­hen, begrei­fen wir die Got­tes Nähe“, “Ich muß auf­er­ste­hen, ich bin wich­tig“, „Man braucht einen Wecker“.

Das sind nur einige von vie­len Ant­wor­ten, die Erika Krum­wiede gesam­melt hat. Dazu sind „mensch­li­che Geräu­sche“ aus einer Klang­in­stal­la­tion zu hören, laut, manch­mal unheim­lich. Aus der Pre­digt von Super­in­ten­dent Hans Wer­ner Dan­now­ski am Oster­sonn­tag am Ort der Installation:

Unser Leben, ein Gang von der Geburt zum Tod, ein Weg zwi­schen Lachen und Wei­nen, zwi­schen Atmen und Keu­chen, Lust und Leid. ..Geräu­sche unse­res Lebens – kön­nen wir sie hören? Was geben sie von uns preis?… Puls­schlag, Lachen, Atmen. Eine ver­wir­rende Fülle von Geräu­schen, die einen Men­schen aus­ma­chen. Ein Laby­rinth von Geräu­schen, in dem wir uns völ­lig selbst­ver­ständ­lich bewe­gen. Auf­er­ste­hung: das ist ein Über­schrei­ten die­ser laby­rin­thi­schen Erfah­rung? Oder ist Auf­er­ste­hung der Faden, die Schnur, die die Rich­tung weist?…

Einen letz­ten Blick will ich noch ein­mal über diese ganze Kir­che wer­fen. Ein schwe­rer Raum ist er, die Nar­ben blei­ben sicht­bar und sol­len sicht­bar blei­ben, die Haß und Krieg die­sem Leben ein­ge­zeich­net haben. Mit der Instal­la­tion aber wird die­ser Raum auf ein­mal leicht und hell. Wie Sie­ges­fähn­chen flat­tern die Zet­tel im Wind, das dar­auf Geschrie­bene löst sich auf in Licht. Zeit der Auf­er­ste­hung ist es, da wird unser Mund voll Lachens sein und unsere Her­zen von Neu­gier voll.“

 In sei­ner Eröff­nungs­rede sagt der Lei­ter der Medi­en­zen­trale Klaus Hoff­mann über Erika Krumwiede:

„In ihrem gan­zen Leben will sie immer wie­der kost­bare krea­tive Frei­räume für neue Erfah­run­gen, Gedan­ken und Gefühle und fürs Spiel auf­spü­ren und gestalten…Erika Krum­wiede hat über 100 Men­schen gefragt… hat die Ant­wor­ten gesam­melt. Sie struk­tu­riert und bewer­tet sie aber nicht, prä­sen­tiert hier keine Ergeb­nisse, son­dern kon­fron­tiert uns mit die­sen indi­vi­du­el­len Ant­wort­ver­su­chen…

Die­ses Laby­rinth hier ist kein Irr­gar­ten, kein Sym­bol für Gefan­gen­schaft und Aus­weg­lo­sig­keit, für die Unbe­greif­lich­keit und die Undurch­sich­tig­keit unse­res Lebens. Hier herrscht das Prin­zip ´Umweg ´- man kann sich nicht auf einen gera­den Weg mit ein­deu­ti­gem Ziel bege­ben, man muß her­um­ge­hen, von allen Sei­ten den Raum umge­hen und mit den per­sön­li­chen Mit­tei­lun­gen und den eige­nen Asso­zia­tio­nen umge­hen…“

Das Fazit in einem Bericht der Han­no­ver­schen All­ge­mei­nen Zeitung:

„Wer sich in einer sug­ges­ti­ven Umge­bung und auf unge­wöhn­li­che Weise auf Ostern vor­be­rei­ten möchte, sollte die Aus­stel­lung der han­no­ver­schen Künst­le­rin in der Aegi­di­en­kir­che besu­chen.“

In einem ein­drucks­vol­len Video lässt sich die Instal­la­tion gut nach­voll­zie­hen.

Ebenso in dem Ende des Jah­res 1998 erschei­nen­den Buch (mit CD) „Die Ruine steht auf“, des­sen Grund­lage die Instal­la­tion darstellt.

Danke sage ich

schnell   laut   lang­sam leise

schreie ich

immer­fort

dem, der mich ansieht – egal wie

mir selbst ohne Unterbrechung

allem, was geschieht

allem, was über mich kommt

den aber­tau­send Fra­gen ohne Antwort

ich ver­stehe und ver­stehe nicht

Angst

das ist Auferstehung

über die­ses Leben hinaus

 

Erika Krum­wiede

(aus: Die Ruine steht auf, 1998)


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