Es ist nicht die Kultur der langfristig zielorientierten Arbeit, die ihre Projekte bestimmt. Sie selbst ist aber von einer alle Bereiche durchdringenden Ordnung geprägt. Das sagen alle, mit denen man über sie spricht. Die Fotos und die Filmaufnahmen von ihrer Wohnung sind keine Inszenierungen. So gestaltet und geordnet sah es an jedem Tag bei ihr aus. Bis in die Keller und Abstellräume hinein. Aber das Prinzip ihrer Ordnung lässt sich nicht einfach durchschauen. Es ist ein kreatives Prinzip, also eines, dass sich nur im Prozess bereichsweise oder thematisch beschreiben lässt und dem in keinem Fall eine didaktische Absicht zugrunde liegt. Diese in der Wirkung „vorausgesagten“ Bildungsprozesse meidet sie nicht nur, sondern „bekämpft“ sie geradezu. Vor allem gegen jede Form kirchlicher Didaktik und mögliche methodische Regeln wendet sie sich mit aller Schärfe.
Daher liegen auch keine systematischen Konzepte oder Berichte vor, die einen über Jahre verfolgten pädagogischen Prozess sichtbar machen würden. Sie ist immer die kreative Anregerin, die Themen oder Fragen anstößt ohne ein Zeitziel der Bearbeitung oder Lösung. Etwas zugespitzt lässt sich sagen, dass sie nicht an Ergebnissen, sondern an Denkbewegungen und Denkereignissen interessiert ist. Wollte man die Protokolle und Materialien auf Ergebnisse hin auswerten, dann würde man schnell aufgeben.
Zum Beispiel: Sie regt ein Gespräch über ein ganzes Wochenende zum Thema „Liebe“ an. Sie wählt die Gesprächspartner aus und telefoniert sie zu einem Termin zusammen. „Du kommst doch?“ ist eine ihrer liebsten Fragen. Es fällt nicht leicht, bei ihrer nachdrücklichen Art einzuladen, nein zu sagen. Eine Stimme am Telefon, die schon das Thema ins Zimmer spricht, immer näher und dringlicher. Und dann sitzen fünf Menschen mit kurzen Pausen von Freitag bis Sonntag im Gespräch zusammen. Es läuft ein Tonbandgerät. Stundenlang. Etliche tausend Meter auf mehreren großen Spulen. Es sieht durchaus so aus, als würde man mit diesem aufregenden Gesprächsmaterial eine Dokumentation erstellen können. Und die Eifrigen aus der Runde denken sogar an eine Resolution, mit der man in der Öffentlichkeit wirken könnte.
Doch für Erika Krumwiede hat das nach dem Wochenende keine große Bedeutung mehr. Es war für sie die intensive Kommunikation, in der sich das Thema bereits ereignet hat. Als einer der Teilnehmer kritisiert, dass nach Monaten noch nichts mit dem Material unternommen wurde, sagt sie: „Er hat nichts verstanden.“ Also liegen die dicken Tonbandspulen heute noch mit hundert weiteren kleinen und großen Tondokumenten in einem Karton. Die Zeit hat aus vielen der erregenden Dialoge ein Stimmenrauschen gemacht.
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Noch während des Krieges – am 1.9.1944 – übernimmt sie eine Stelle als Gemeindehelferin in der St. Andreas Gemeinde in Hildesheim. Dort wirkt sie bis zum 15.9.1947. Im Zeugnis aus der Zeit werden ausführlich die vielfältigen Tätigkeitsfelder beschrieben, in denen sie erfolgreich gearbeitet hat. Darunter:
„…Besondere Begabung zeigte Fräulein Müller-Krumwiede für die Arbeit an der weiblichen Jugend und an Kindern…der Kreis der jüngeren konfirmierten Mädel ließ sie nur sehr ungern scheiden…Fräulein Müller-Krumwiede bewahrte überall einen lauteren Charakter, persönliche lebendige Frömmigkeit und Gewissenhaftigkeit.“
Von 1948 bis 1952 arbeitet sie als Gemeindehelferin und Organistin in der Michaelisgemeinde Hannover (seit 1.4.1951 in der davon abgetrennten Thomasgemeinde in Hannover-Ricklingen). Auch hier gibt das Zeugnis Auskunft über ihre Aufgaben und ihre Beliebtheit in der Gemeinde:
„… Ihre Arbeit umfasste: den gesamten Organistendienst, den Vorkonfirmandenunterricht aller Mädchengruppen und die gesamte Jugend- und Kinderarbeit. Dazu trat noch die Mithilfe im Gemeindebüro, im Dienst an den Alten und Kranken und im Kindergottesdienst.
E. M.-Kr. hat in unserer schwierigen Gemeinde ihren Dienst mit aller Hingabe und Treue getan und, unterstützt durch ihr Können und Wissen, eine wichtige Aufbauarbeit geleistet. Mädchenkreise, Jungschar, mehrere Kinderstunden, ein Jugend-, Kinder- und Flötenchor verdanken Fräulein Kr. ihr Entstehen und Weiterwachsen. Manche Gottesdienste und Feierstunden sind von ihr mit diesen Kreisen gestaltet worden. In all ihrer Arbeit wurde sie getragen von dem Vertrauen und von der Achtung der Gemeinde und ihrer Pastoren und besonders von der Liebe der Jugendlichen und Kinder.
Die Gemeinde hat sich lange gegen ihren Fortgang gewehrt und bedauert es sehr, dass sie nun doch die Gemeindearbeit vorläufig aufgeben muß, da ihr Dienst als Lehrerin in der Bibelschule der Malche dringend benötigt wird…“
Wie beliebt sie in der Gemeinde war, das zeigt auch ein schön gestaltetes Album aus der Zeit von 1951 bis 1953. Es ist ihr offenbar zum Abschied von ihrem Singkreis neben Fotos mit Liedtexten versehen gewidmet worden.
Aus den Stationen ihrer Tätigkeit als Gemeindehelferin lassen sich etliche Mosaiksteine aufnehmen, die später gut in das Bild der „kreativen Anregerin und Vermittlerin“ eingepasst werden können.
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